Tiroler Dialekt

Die Tiroler Dialekte werden im österreichischen Bundesland Tirol, in der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol (Italien), und in der Gemeinde Samnaun in der Schweiz gesprochen. Es handelt sich um eine Gruppe von Dialekten, zwischen denen von Tal zu Tal teils erhebliche Unterschiede bestehen und die aus dialektologischer Sicht zum Südbairischen gehören. Die Tiroler Dialekte können in eine westliche, eine zentrale und eine östliche Gruppe eingeteilt werden. Es hat dagegen keinen Sinn, von „Südtiroler“ Dialekten zu sprechen, da es keine wesentlichen Merkmale gibt, mit denen die Tiroler Dialekte in eine nördliche und eine südliche Gruppe eingeteilt werden können – wie etwa zahlreiche Karten des Tirolischen Sprachatlas zeigen.

Die Ost-West-Unterschiede zeigen sich in der Aussprache, aber auch in anderen Teilen der Dialektgrammatik. So gibt es etwa im Vinschgau ein anderes Pronominalsystem als in den zentralen und östlichen Dialekten Südtirols.

Während in den meisten Tiroler Dialekten wie im Standarddeutschen eine klare Unterscheidung zwischen Nominativ/Akkusativ auf der einen und Dativ auf der anderen besteht, haben viele Vinschgauer Dialekte ein System, bei dem Nominativ, Akkusativ und Dativ eine Einheitsform. Das bedeutet, dass z.B. das Pronomen der 3. Person Plural (sie im Standarddeutsch) im Vinschgau keine eigene Dativform mehr hat (in den anderen Dialekten ist diese Dativform imen, imenen, imile oder ihnen), sondern nur noch eine einzige Form: sui. Die nebenstehende Karte zeigt die geographische Verteilung dieses Merkmals in Südtirol (vgl. Kruijt 2022, S.95).

In anderen Teilen des Pronominalsystems kommt es häufig zum Verlust der Akkusativform (z.B. mich, dich). In diesen Fällen wird dann auch für das direkte Objekt die Dativform verwendet (z.B. mir, dir). Man nennt diesen Zusammenfall von Formen Synkretismus. Es handelt sich hier um eine natürliche Sprachentwicklung, die in vielen deutschen Dialekten stattfindet und auch im Standarddeutschen – im Vergleich zu älteren Sprachstufen wie dem Althochdeutschen – stattgefunden hat.

In AlpiLinK werden Daten zu den Tiroler Dialekte der Provinz Bozen erhoben, jene des Bundeslandes Tirol (Österreich) konnten bisher noch nicht berücksichtigt werden. In Südtirol wird der Tiroler Dialekt in allen Funktionsdomänen mit Ausnahme der sehr formellen verwendet, während Standarddeutsch in den formellen Registern (vor allem geschrieben, im Unterschied zur Diglossie-Situation in der Schweiz aber manchmal auch gesprochen; vgl. Ciccolone & Franceschini 2015, S. 459-460) und in der Schule zum Einsatz kommt. Standarddeutsch hat den Status einer offiziellen, dem Italienischen gleichgestellten Sprache, die vom Autonomiestatut geschützt ist. Die Tiroler Dialekte haben keinen offiziellen Status. Dennoch erklären nach Untersuchungen des Landesamtes für Statistik (ASTAT 2015, S. 137) 93% der Südtiroler deutscher Muttersprache, dass sie sich fließend im Dialekt ausdrücken können. Diese Zahlen machen klar, dass die Tiroler Dialekte auch ohne institutionellen Status nicht als bedroht gelten müssen, sondern dass sie von allen Generationen und sozialen Gruppen aktiv verwendet werden.

Literaturangaben

Zur Vertiefung

  • Glück, Alexander, Mara Maya Victoria Leonardi & Claudia Maria Riehl (2019): Südtirol. In Beyer, Rahel & Albrecht Plewnia (Hrsg.): Handbuch des Deutschen in West- und Mitteleuropa. Tübingen: Narr Francke Attempto, 245-280.
  • Rabanus, Stefan, Ermenegildo Bidese & Silvia Dal Negro (2019): Deutsch als Minderheitensprache in Italien. In: Joachim Herrgen & Jürgen Erich Schmidt (Hrsg.): Sprache und Raum. Ein internationales Handbuch der Sprachvariation. Band 4: Deutsch. Berlin/Boston: De Gruyter Mouton, S. 1096-1114.
  • Scheutz, Hannes (Hrsg.) (2016): Insre Sproch. Deutsche Dialekte in Südtirol. Mit dem ersten ‚Sprechenden Sprachatlas‘ auf CD-ROM. Bozen: Athesia.
  • Tirolischer Sprachatlas = Klein, Karl Kurt & Ludwig Erich Schmitt (Hrsg.) (1965–1971): Tirolischer Sprachatlas. Unter Berücksichtigung der Vorarbeiten Bruno Schweizers bearbeitet von Egon Kühebacher. 3 Bde. Marburg: Elwert/Innsbruck: Tyrolia. Ein Teil der Karten ist über das REDE SprachGIS frei im Internet zugänglich, siehe die Übersicht hier.
  • Rabanus, Stefan (2019): Tedesco. 3. Tedesco in Alto Adige. In Thomas Krefeld & Roland Bauer (Hrsg.) (2019): Lo spazio comunicativo dell’Italia e delle varietà italiane, Versione 67. Korpus im Text.